von Matthias Rode

Von der „Generation Alpha“ habe ich zum ersten Mal auf der „Next“-Konferenz in Hamburg im Jahr 2019 gehört. Die britische Generationen-Forscherin Eliza Filby stellte in einem Vortrag sechs Nachkriegsgenerationen vor, die sich anhand von gemeinsamen Erlebnissen, Erfahrungen, Neigungen und ihrer Art zu leben unterscheiden. Die jüngste Generation ist die Generation Alpha. Sie umfasst alle Kinder, die nach 2010 geboren wurden. Sie löst die Generation Z mit den Geburtenjahrgängen 1997 bis 2012 ab.

Übersicht über die Generationen (Quelle: Wikimedia) (This work is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License)

Natürlich kann man das Konstrukt der Generationenforschung grundsätzlich kritisieren, denn sie berücksichtigt Menschen aus anderen Kulturräumen nicht und reduziert ganze Altersjahrgänge auf wenige charakteristische Merkmale. Wer aus Syrien oder der Ukraine nach Deutschland geflüchtet ist, wird aber anders geprägt als Kinder, die in Taunusstein aufwachsen. Und wer mit Grundsicherung in Kusel aufwächst, macht andere Erfahrungen als gleichaltrige Kinder wohlhabender Eltern in Hamburg Blankenese. Doch ich sehe die Generationenforschung als ein hilfreiches Gedankenkonstrukt, quasi als Durchschnitt aller Angehörigen einer Altersgruppe.

Die Generation Alpha in der Betrachtung

Interessanterweise spielt die Generationen-Forschung für Marketing-Menschen eine wichtige Rolle. So erschien einer der ersten deutschsprachigen Artikel mit dem Titel „Wer ist eigentlich diese Generation Alpha?“ im Jahr 2017 in der Zeitschrift W&V. Und wenn man darüber nachdenkt, erscheint dies auch logisch: Wer Produkte entwickelt und verkaufen möchte, sollte seine Zielgruppe möglichst gut kennen. Und die Alphas sind als Konsumentengruppe sehr interessant. Die Marketing-Beraterfirma „Wunderman Thompson“ widmet den Alphas gleich ein ganzes Dosier. Aktuell beschäftigt sich der „WDR Innovation Hub“ mit der Generation Alpha, hat dabei aber weniger die heutigen Kinder im Blick. Die Autorinnen einer Studie fragen sich, wie die Generation als Erwachsene leben wird: „Zukunftsvisionen: Ein Tag von drei ‚Alphas‘ im Jahr 2035„. Wenig überraschend beschäftigt sich auch der KiKA mit den Alphas und widmet ihnen eine ganze Podcast-Reihe, in der Expert*innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf die Generation blicken.

Insgesamt findet die Generation Alpha bislang noch wenig mediale Beachtung. Und vielleicht liegt das daran, dass es sehr schwer ist, diese Generation überhaupt zu erfassen, denn es wird die erste Generation sein, von der wir gar nicht so genau wissen werden, welche Medien und welche Inhalte sie überhaupt konsumiert.

Das liegt zum einen daran, dass die Mediennutzung mit zunehmenden Kindesalter schon auf den eigenen Geräten oder auf überlassenen Geräten und weniger auf dem Familienfernseher. Zum anderen sind viele Kinder Social-Media-Plattformen unterwegs, deren AGBs die Nutzung von unter 13-Jährigen in der Regel ausschließen. Zum Teil geschieht dies über die Accounts der Elter – häufig auch mit deren Duldung – oder die Kinder schummeln sich älter. Die Plattformbetreiber können oder wollen die Nutzung von jüngeren Kindern nicht ausweisen. Die Konsequenz: Es findet im erheblichen Maß einen Medienkonsum von Kindern statt, der entweder nicht erfasst oder falsch zugeordnet wird. Für die Anbieterseite ist das durchaus eine Herausforderung.

Kind tippt auf ein Tablet
Die Generation Alpha beginnt mit dem Jahr 2010. Im gleichem Jahr wurde erstmals das Apple iPad präsentiert. (Image by StockSnap from Pixabay)

Der Generation Alpha wurden smarte Geräte mit in die Wiege gelegt

Nicht ohne Grund wird der Beginn der Generation auf das Jahr 2010 gelegt, dem Jahr in dem Steve Jobs das erste iPad präsentierte. Leider gibt es keine aktuelleren Zahlen als die der KIM-Studie des Jahres 2020, aber zu diesem Zeitpunkt hatte praktisch jedes Kind ab 6 Jahren Zugriff auf ein Smartphone und etwa die Hälfte auf ein Tablet. Kinder müssen den Umgang mit dieser Technologie nicht erst lernen, denn sie wurde ihnen in die Wiege gelegt. Gleiches gilt für Smart-TVs und in vielen Fällen auch Sprachassistenten wie Alexa oder Siri.
Ich verallgemeinere, aber tendenziell können sich Kinder an ein Leben ohne Video- und Musik-Streaming-Dienste, ohne YouTube und Google-Suche gar nicht erinnern. Sie kennen Video-Calls und sind es gewohnt, auf Schritt und Tritt von Technologie überwacht zu werden. Fernsehen spielt dabei oft nur noch eine untergeordnete Rolle. Laut GfK/AGF-Studie haben 3-13-Jährige im Jahr 2021 im Schnitt 40 Minuten fern gesehen. Der Trend zwigt seit Jahren nach unten. Und das erscheint auch logisch: Die Medienvielfalt ist für die Jüngsten so groß wie nie zuvor: Ihr (limitiertes) Medienbudget verteilt sich auf lineares TV, Streaming-Dienste, YouTube, Games und Social Media. Und dieses Medienverhalten wird sich kaum verändern, wenn die Kinder erst einmal zu Erwachsenen herangewachsen sind.

Nischeninteresse als Regel

Das ist nicht nur eine Herausforderung für alle „klassischen TV-Sender“ sondern auch für die Marketing-Branche, die viel Energie investieren muss um zu analysieren, wo sie ihre Zielgruppe überhaupt erreichen kann.
Aber nicht nur die Vielfalt der Medienangebote wächst immer weiter. Auch die Inhalte selbst wachsen in einem atemberaubenden Tempo. Für fast jedes Interesse, jede Neigung und jede Haltung gibt es Influencer*innen und Role-Models, die diese bestätigen. Nicht ohne Grund gibt es in der Gesellschaft kaum mehr echte Stars, die eine ganze Generation ansprechen. Das Deutsche Zukunftsinstitut kommt zu der Einschätzung, dass die Gesellschaft vernischt. Und jede Nische hat ihre eigenen Stars, Codes, Symbole und Werte. Die „klassischen Medien“ drohen dabei die Rolle der Vermittler und Kuratoren zu verlieren. Vor allem droht die Gefahr, dass der gemeinsame gesellschaftliche Konsens verloren geht, denn Algorithmen kennen per se keine Werte.

Algorithmen als Gatekeeper

Wenn Algorithmen die Rolle von Gatekeepern, Filtern und Kontext-Lieferanten übernehmen, dann sehe ich dies durchaus problematisch: Denn wer hilft Kindern Ereignisse zu verstehen und einzuordnen? Wer erklärt ihnen die Corona-Krise, den ungerechtfertigten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, den Rolle der Mädchen in Taliban-Afghanistan, den Nahost-Konflikt und die existenzielle Krise durch den menschenverursachten Klima-Wandel?
Ich werde diese Themenbereiche alle noch in separaten Beiträgen behandeln. Auch das Thema Werte und Bedürfnisse der Generation Alpha bedarf einer gesonderten Betrachtung.
Was deutlich werden sollte: Die Generation Alpha unterscheidet sich auf grundlegende Weise von allen Generationen vor ihr. Und wir müssen uns viel mehr mit ihr beschäftigen, um den Anschluss an diese Generation nicht zu verlieren.